Adobe hat den Support für den in die Jahre gekommenen und seit geraumer Zeit nur stiefmütterlich gepflegten Flash-Player zum Jahreswechsel 2020/2021 komplett eingestellt. Ein Grund nochmal einen persönlichen Blick zurück zu werfen – auch mit einem weinenden Auge.
Flash – das Zwitterwesen
Unter „echten“ Entwicklern war Flash nie beliebt. Zu verworren, zu wenig stringent war die Oberfläche und die Prinzipien der zuerst von Macromedia entwickelten und dann von Adobe aufgekauften und ausgebauten Software. Zudem gab es in der Anwendung eine, aus heutiger Sicht sonderbare Vermischung von Design, Animation und Programmierung. Die Grenzen waren fließend. Dies war auch ein Vorteil – insbesondere bot Flash so eine individuell anpassbare Lernkurve. Für große Projekte war der Ansatz vollkommen ungeeignet. Der Versuch mit ActionScript3 mehr Struktur vorzugeben, klassenbasierte Objektorientierung zu forcieren und mit Adobe Flex (später Apache Flex) ein SDK für „echte“ Entwickler zur Verfügung zu stellen, kann leider nicht als Erfolg verbucht werden.
Zum schlechten Ruf hat ohne Zweifel beigetragen, dass es sich um Proprietäre Software handelte – unter Entwicklern kommt man damit nicht weit. Die – insbesondere im letzten Jahrzehnt (!) – vermehrt auftretenden und oft gravierenden Sicherheitslücken taten ihr Übriges und waren Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Als Steve Jobs 2010 verkündete, dass es für das IPhone niemals Flash-Unterstützung geben würde, da war die Sache endgültig gegessen. Dennoch sollte es noch zehn Jahre bis zum finalen Ende dauern.
Vor Flash
Bei all dem Ärger über blinkende Banner, längliche Intros sowie die bereits erwähnten Sicherheitsprobleme darf man die Leistungen und Errungenschaften von Flash nicht verkennen. Vor Flash war das Internet „wüst und leer“ – zumindest multimedial betrachtet. Es bestand aus Texten in Times New Roman mit blauen (bzw. clicked-lilafarbenen) Hyperlinks, aus Frameset-basierten Websites oder – wenn sich jemand wirklich Mühe gegeben hatte – aus Blinke-Gifs und in HTML-Tabellen organisieren Bildwüsten mit Click-Areas und auf Javascript basierenden, hakeligen Mouseover-Effekten. Es war wirklich, wirklich sehr, sehr schlimm!
Neue Welten
Mit Flash eröffneten sich nie dagewesene Möglichkeiten. Der geneigte Webdesigner (so betitelte man sich Ende der 90er) hatte plötzlich einen frei gestaltbare Canvas vor sich. Dieser wurde, unabhängig vom Browser, immer korrekt angezeigt. Welch ein Segen! [Stabile crossbrowser-pixelgenaue Darstellung ist übrigens ein bis heute nicht final gelöstes Problem, Special THX to the Internetexplorer!]
Es gab die Möglichkeit Schriftarten einzubinden und sich endlich von Times-New-Roman und Verdana zu lösen. Sogar Sounds konnte man abspielen, externe Inhalte nach Bedarf nachladen und bald konnte man mit Flash Videos einbinden und ohne weitere Plugins oder Codecs abspielen. Ohne Flash hätte es diverse Onlinespiele nie gegeben (Farmville sei hier nur als das Beispiel schlechthin erwähnt). Vor allem hätte es den Aufstieg von YouTube in dieser Form nicht gegeben. Übrigens verabschiedete sich YouTube erst vor gut 5 Jahren (2015) final vom Flash-Player – es ist also nicht so, dass wir Flash schon seit vielen Jahren nicht mehr brauchen. Kurz: Auch wenn von Flash als solches nichts geblieben ist, ohne Flash sähe das Internet heute komplett anders aus.
jQuery, HTML5 und CSS3
Vielmehr stellt es sich so dar, dass Funktionen die in Flash selbstverständlich waren erst nach und nach in den HTML-Standard aufgenommen wurden. Mit CSS3 gab es darüber hinaus einen Sprung in puncto Gestaltung via CSS, Animation und Interaktion. Flash war aber auch hier Vorreiter und Wegbereiter.
Als im August 2005 die erste jQuery-Bibliothek erschien war ein entscheidender Meilenstein für die Zeit nach Flash gesetzt. Javascript konnte mit jQuery vergleichsweise einfach und vor allem crossbrowser-kompatibel eingesetzt werden. Effekte die sich mit vertretbarem Aufwand bislang nur in Flash umsetzen ließen waren jetzt auch im Browser direkt möglich. Ein weiterer Meilenstein waren Bibliotheken wie Modernizr (2009) die HTML5 und CSS3-Features in alten Browsern nachbildeten, sodass ein breiter Einsatz der neuen Eigenschaften und Tags möglich wurde und die erforderliche Akzeptanz schuf.
Greensock
Deutlich wird die Gesamtentwicklung aus meiner Sicht an der Greensock-Animation-Platform. Ursprünglich für Flash als ActionScript-Bibliothek entwickelt und nach und nach, inzwischen ausschließlich, in eine der erfolgreichsten Java-Script-Bibliotheken im Animationssegment migriert. Dies ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie durch Flash Ideen angestoßen und in eine Post-Flash-Welt überführt wurden.
Good old Times
Meine ersten Websites habe ich mit Flash erstellt. Vielleicht wäre „zusammengefrickelt“ der bessere Begriff, aber die Ergebnisse waren cool. Für Freunde habe ich eine Band-Website erstellt. Texte bewegten sich, Nebel stieg auf und Hörproben konnten abgespielt werden. Die Seite vereinte alles was man braucht: Ein langes Intro, Framesets und eben Flash! Später entwickelte ich Website, Spiele, Werbemittel und Clickdummies auf Basis von Flash für kleine Unternehmen und große Konzerne.
Das Flashforum
Bei der Entwicklung war das Flashforum oft eine Hilfe und Inspirationsquelle. Es war die Institution zu Flash in Deutschland. Eine extrem freundliche und hilfsbereite Community unterstütze bei der Lösung von Problemen sowohl auf Einsteiger- als auch Profi-Level. Mit dem Abstieg von Flash, schloss das Flashforum bereits 2016 seine Pforten. Danke an Marc Thiele für dieses Forum!
Coolsites: Kreativität in neuen Dimensionen
Neben FAQ, diversen Best-Practice-Beispielen und Tutorials war für mich das Board Coolsites immer einen Blick wert. Eine Reihe von Agenturen und Freelancern setzte hier Maßstäbe und bot Inspiration in alle Richtungen. Was mir aus der Flash-Zeit vor allem in Erinnerung geblieben ist, ist ein diverseres UX- und Webdesign. Neben immer neuen Navigationskonzepten gab es viel mehr unterschiedliche Designrichtungen zur gleichen Zeit. Bei den Guten „Flashern“ gab es darüber hinaus eine Detailverliebtheit, die heute Ihres gleichen sucht.
Kimble.org
Eine der ersten Macromedia-Flash-Websites die ich jemals bewusst wahrgenommen habe war die von Kim Schmitz. Wenn ich mich recht erinnere wurde sie auf NBC Giga vorgestellt. Mit Intro, dramtsichen Effekten und allem Drum- und Dran der späten 90er. Dennoch: Wir waren wortwörtlich geflasht!
Neben Kimble.org hat Kim Schmitz gleich eine ganze Reihe von fragwürdigen Firmen mit entsprechender Flash-Website aus dem Boden stampfen lassen. Für die Umsetzung war meines Wissens immer NRG.be (Screencapture) verantwortlich. Spontan fallen mir noch Megacar.com, dataprotect und Kimvestor ein.
247-Media Studios
Mit deutlichem Abstand ganz oben auf der Liste steht die Seite „247 Media Studios“ von Ingo Ramin. Die Seite mit der Fliege.
Es ist für mich bis heute eine der besten Websites ihrer Zeit. Sie war in einem dem Grunge-Stil entlehnten Design gehalten. Dazu ein eingängiger Ambient-Sound im Hintergrund. Detailverliebtheit wurde hier bis zur Perfektion ausgereizt. Zich kleine interaktive Effekte gepaart mit Wortwitz und gewisser Selbstironie. Hervorragend komponierten Animationen rundeten das Bild ab. Darüber hinaus haute Ingo Ramin im Portfolio regelmäßig absurd fein ausgearbeitete Prototypen und Showcases raus. Wie viele der Seiten wirklich umgesetzt wurden war nie so richtig durchschaubar. Auch das gehörte dazu: Viel Schein.
In jedem Fall: Danke, Ingo Ramin!
2Advanced Studios
In eine ganz andere, futuristische, Interface-Design Richtung entwickelte 2Advanced Studios ihre Website und UX:
Die Videcaptures der Vorgängerversionen Version 2 und Version 3 sind ebenfalls bei YouTube archiviert.
derBauer
Mit den 3D-Morphing-Effekten von derBauer bin ich zwar nie richtig warm geworden – sicherlich auch weil die ewigen Ladezeiten im Vorfeld schon echt nervig waren. Für viele in der Szene war es aber auch Toplevel, sodass es hier in der Liste nicht fehlen soll.
Tokyoplastic
Die Stärken von Flash spielte Tokyoplastic mit der Website Version „Drummachine“ effektvoll aus. Im Kern basierte sie auf geschickt angelegten Vektor-Grafiken (und damit geringen Ladezeiten) und Vektor-Morphs kombiniert mit coolen Soundeffekten.
Ich denke, diese fünf Beispiele geben einen ganz guten Überblick über die Vielfältigkeit unter Flash-Sites. Weitere Beispiele für diverse Flashsites finden sich in dieser YouTube-Playlist.
Flash nach 2020
Wirklich erforderlich ist Flash inzwischen definitiv nicht mehr. Wer aus nostalgischen Gründen nochmal alte und bekannte Websites aufrufen möchte, der ist mit der o.g. Playlist des Kanals Web Design Museum gut bedient. Darüber hinaus gibt es den unter MIT Lizenz stehenden Flash „Emulator“ Ruffle (https://ruffle.rs/) mit dem sich auch weiterhin Flash-Files im Browser in einem Emulator abspielen lassen.
Danke Flash
Was bleibt mir am Ende zu sagen? Es war wirklich Zeit für dich zu gehen. Aber ich möchte ein ernstgemeintes und aufrichtiges Danke aussprechen. Danke für die Jobs mit denen ich mir schon als Schüler mein Taschengeld aufgebessert und mein Studium mitfinanziert habe. Danke für all die Aufträge mit denen ich mir als Freelancer die Nächte um die Ohren geschlagen habe und später ein kleines Unternehmen aufbauen konnte.
Danke vor allem für das was Du, liebes Flash, für das Internet erreicht hast. Ohne dich stünden wir heute nicht hier wie wir hier stehen!
Danke, für eine großartige Zeit!