Es ist das Corona-Jahr 2020. Alle größeren Reisen mussten ausfallen; so auch meine für September geplante Tour von München nach Sarajevo. Stattdessen entscheiden Jaron, Frank und ich uns spontan dazu ein verlängertes Wochenende nach Dänemark zu fahren: Freitag, Samstag, Sonntag und Montag. Um die Tagesetappen nicht total eskalieren zu lassen fahren wir mit der Bahn von Altona nach Flensburg und starten dort.
Routenplanung
Die Route für Tag 1 und 2 ist quasi deckungsgleich mit der Route die ich für die Festive 500 inOneGo 2019 zusammengeklickt hatte – diesmal jedoch aufgeteilt auf zwei Etappen. Die Rücktour orientiert sich grob an einer Tour die ich im Oktober vor einem Jahr mit Michael als „Festive 500 Streckeninspektion“ gefahren bin. Hier waren jedoch viele große – und damit stressige – Straßen enthalten, sodass ich versucht habe Alternativen auf kleinen Wege zu finden. Fazit vorab: das Ganze kann man so auf jeden Fall sehr gut (nochmal) fahren.
Flensburg – Holstebro
Am Bahnhof Flensburg angekommen lade ich den Tagestrack auf mein Wahoo Elemnt. Es piept und signalisiert mir: Es kann losgehen – the sound of freedom. Um 08:50 Uhr ist es noch ordentlich frisch. Die Sonne kommt aber raus und so entscheide ich mich die Beinlinge gleich auszuziehen. Wir fahren los, queren Flensburg entlang des Hafens, streifen Kupfermühle und steuern auf die dänische Grenze zu. Niemand will unsere Ausweise sehen, ein Corona-Test-Container auf der rechten Seite zeugt von der Pandemie. Viel los ist hier nicht. Es kommt Urlaubsfeeling auf.
In Kruså, unmittelbar hinter der Grenze, biegen wir nach Westen ab und nehmen Tempo auf. Es rollt sich gut in der Konstellation. Der Verkehr auf der Landstraße ist überschaubar. Der Track führt uns bald auf einen Wirtschaftsweg der nahezu autofrei ist. Der Himmel ist klar, die Sonne scheint und wir werfen scharfe Schatten auf den Asphalt. Beste Stimmung.
Unser erstes Zwischenziel ist Vejen. Nach lockeren 120 Kilometern ist es dort Zeit für eine Pause bei Mac. D. Wir haben hier auch im Dezember schon pausiert, allerdings bei gänzlich anderen Bedingungen. Erinnerungen werden wach. Ich schicke Michael einen Fotogruß. Nachdem wir uns mit qualitativ hochwertigstem Essen gestärkt haben kann es weiter gehen. Die Straßensituation ist für dänische Verhältnisse erstaunlich unübersichtlich. Unter Missachtung von Durchfahrverboten schaffen wir es aus dem Kreisverkehr-Gewirr, das nicht auf Radfahrer ausgelegt ist. Schon drei Kilometer später sind wir wieder auf einer kleinen Nebenstraße.
Den nächsten Stopp legen wir in Ølgod ein. Nachdem wir einmal ums Karree gefahren sind finden wir einen Supermarkt im Zentrum. Endlich gibt’s Spandauer (Gebäck aus Blätterteig, Pudding, Zuckerguss), dazu frische Erdbeeren und Saft. Richtig gut.
Bis zu unserem Etappenziel sind es nur noch 75 Kilometer; allerdings bewegt sich die Sonne langsam in Richtung Horizont und unsere Schatten ziehen sich in die Länge. Dennoch nehmen wir uns vor nicht mehr ganz so schnell zu fahren und unsere Kräfte einzuteilen – es liegen ja immerhin noch drei Tage vor uns. Als uns ca. 40 Kilometer vor Holstebro ein großer Traktor mit Anhänger zügig überholt vergesse ich unseren Vorsatz, gebe Gas und schaffe es mit einiger Mühe mich in den Windschatten zu hängen. Meine Anstrengung wird über die nächsten 20 Kilometer belohnt: Das breite Gefährt saugt mich locker mit 40 km/h über die Hügellandschaft Jütlands.
Auf einer Anhöhe warte ich auf Frank und Jaron. Wo bleiben die nur? Die letzten Kilometer fahren wir wieder gemeinsam. Im Hotel Schaumburg hat Jaron uns zwei Zimmer reserviert. Ohne Diskussion können wir ganz selbstverständlich unsere Räder mit auf’s Zimmer nehmen – wie sich das für ein gutes Hotel gehört. Das gibt Pluspunkte. Nachdem wir uns frisch gemacht haben, gibt’s im Restaurant nebenan Pizza, Pizza und Pizza. Jaron bestellt für sich als Vorspeise zusätzlich eine Portion Pasta. 🙂
Holstebro – Skagen
Das hatten wir uns anders vorgestellt: Es ist fissilig-neblig. Auskondensierende Feuchtigkeit fällt aus der Luft. Es hilft aber nix: wir wollen nach Skagen. Holstebro verlassen wir um kurz nach 9 Uhr. Zu allem Überfluss werden wir gezwungen den Track zu verlassen und eine Umleitung zu fahren. Im Dezember kam man hier noch durch, jetzt hat man die komplette Straße weggerissen.
In der Ferne schlagen Windräder mit ihren Flügeln in das dicke Grau in grau das von oben auf die Szenerie drückt. Einerseits stimmungsvoll, andererseits nicht stimmungsfördernd.
Ziel ist vorerst das 60 Kilometer entfernte Viborg. Das letzte Mal sind wir dort in einem sehr netten, liebevoll eingerichteten Café (soesterlagkage.dk) mit hervorragendem Frühstück gelandet und konnten uns aufwärmen und stärken. Das würde auch in die aktuelle Situation gut passen. Wir finden das Café leider nicht, landen am Ende an einem Supermarkt und stehen draußen in der Kälte während wir Nahrungsaufnahme betreiben. Immerhin hat dies den Vorteil, dass die Pause kurz bleibt.
Aus Viborg raus geht’s auf einem guten Radweg. Weiter fahren wir über schöne kleine Straßen und Wirtschaftswege. Nur einmal will sich ein Autofahrer mit uns anlegen – er überlegt es sich dann aber doch noch anders ¯\_(ツ)_/¯. Gegen 13 Uhr hat die Sonne genug Kraft entwickelt um blaue Löcher in die dichte Wolkendecke zu fressen. Licht und Schatten spielen mit der welligen Grundmoränenlandschaft. Als wir gegen 15:30 Uhr Aalborg erreichen stehen nur noch vereinzelt Wolken am Himmel. Das was wir von Aalborg sehen ist nicht schön. Dennoch machen wir hier eine verspätete Mittagspause und es gibt.. ..richtig: Pizza, Pizza und Pizza (und Cola).
Hinter Aalborg führt uns der Track einige Kilometer parallel zur „Autobahn“. Nach der Natur und Ruhe vor Aalborg wirkt dies richtig stressig. Es dauert jedoch nicht lange und wir sind zurück auf ruhigen Wegen. Ab und zu kommen wir durch ein kleines Dorf. Je weiter wir nach Norden kommen, desto dünner wird die potentielle Versorgungslage. In Lendum machen wir kurz vor 18:00 Uhr einen letzten Stopp am Supermarkt, bevor dieser schließt und wir zur letzten Tagesetappe bis Skagen aufbrechen.
Das Landschaftsbild wird nochmal merklich nordischer. Kiefernwälder und Dünen wechseln sich ab. Die Sonne berührt inzwischen den Horizont und verschwindet schließlich ganz dahinter. Die letzten 20 Kilometer bis Skagen führen auf einem Rad- und Wanderweg durch eine wunderschöne Dünenlandschaft im Licht der Dämmerung. Dazu steigt nun langsam Nebel auf.
Gegen 20:00 Uhr erreichen wir das Ortsschild Skagen und machen das obligatorische Foto – zuletzt stand ich hier mit Patrick am 28.12.2019 um 19:00 „in der Nacht“. Wieder: Erinnerungen an die Festive 500 sowie die Streckeninspektion mit meinem Rennradbuddy Michael. Wir fahren noch bis zum Parkplatz an der Nordspitze um einen Blick auf das Meer zu werfen. Auf dem (Fuß-)Weg über die Düne treffe ich eine Bekannte aus Hamburg – It’s a small World! Wir erfahren von ihr, dass gerade die Corona-Zahlen in Dänemark wieder steigen und die Restaurants daher früh schließen müssen. Essengehen können wir uns damit abschminken. Zufällig (!) hat Jaron das gleiche Quartier (und sogar das gleiche Apartment) gebucht das ich zur Festive 500 gebucht hatte (Toftegården Guesthouse). Daher weiß ich, dass im Apartment alles zum Kochen vorhanden ist. Ich mache mich nach dem Check-In schnell auf den Weg zu Lidl und komme mit einem Großeinkauf zurück. So gibt es heute keine Pizza sondern selbst gekochte Pasta und Obstsalat. Noch so ein Déjà-vu. Alle sind happy. Wieder ein schöner Tag.
Skagen – Nørre Vissing
Die gut 270 Kilometer von gestern stecken uns in den Beinen. Jedenfalls stehen wir am Morgen eine Dreiviertelstunde später in den Startlöchern als gestern. Zum Start steuern wir nochmal den Parkplatz in Grenen an um die Nordspitze bei Tageslicht zu sehen – wobei es leider wieder bedeckt ist. Wir schießen die üblichen Fototrophäen und treten den Rückweg gen Süden an.
Von einigen Verschwenkungen abgesehen, führt uns der Track heute mit einer leichten Westkomponente kontinuierlich nach Süden. Zufälligerweise kommt der Wind aus genau der Richtung in die wir fahren. Toll. Er bläst zwar nicht besonders stark, Kraft kostet es dennoch. Gut, dass wir zu dritt sind.
Unmittelbar hinter Frederikshavn zeigt uns das Gelände zum erste Mal was es kann: Es geht ordentlich bergauf. Drei „Peaks“ sind zu erklimmen, der Höchste wird mit stattlichen 95m über NN angezeigt. Auf der Streckeninspektion vor knapp einem Jahr bin ich hier mit Michael in umgekehrter Richtung in der Dunkelheit runtergeballert – ich ahnte daher schon im Vorfeld was auf mich zukommt.
Bei Kilometer 100 machen wir Mittagspause in Hals. Es gibt: Pizza! Leider dauert das viel zu lange und man kann nicht mit Karte bezahlen. Danach decken wir uns nochmal im Supermarkt ein und setzen anschließend mit der Fähre über den Limfjord über. Die nächsten 40 Kilometer geht’s eher flach weiter. Danach wird’s umso hügeliger was ganz gut an unseren Kräften zehrt. Die Sonne geht auch schon wieder unter und wir denken über das Abendessen nach. Zumal unser Hotel in einem Ort liegt der gefühlt aus einer T-Kreuzung und einer Handvoll Häusern besteht, hatte Jaron im Vorfeld recherchiert, dass wir in Galten – wenige Kilometer vor unserem Hotel – Pizza bekommen sollten. Die ausgewählte Pizza-Bude ist nicht zu finden und wir irren planlos durch den Ort. Am Ende sitzen wir in einem etwas ramschigen Laden – das Essen ist aber super.
Die letzten 5 Kilometer bis zu unserem Hotel in Nørre Vissing fahren wir im Düstern und durch dichten Nebel. Schön kalt ist es jetzt auch. Das Hotel hat glücklicherweise fließendes warmes Wasser. Nice. Nach einer langen Dusche kann ich prächtig pennen.
Nørre Vissing – Flensburg
Das was wir gestern schon geübt haben, professionalisieren wir heute: Wir starten noch später. 10:15 Uhr ist es als wir uns – wieder bei bedecktem Himmel, feuchten Straßen und zu niedrigen Temperaturen – in Bewegung setzen. Zum Start geht’s einen Hügel hoch und die Beinchen sagen „Hallo!? Was soll das? Pause!“. „Pause“ ist jedoch erstmal nicht angesagt; knapp 190 hügelige Kilometer liegen vor uns.
Bei Kilometer 60 tüdeln wir uns durch die Stadt Vejle die an der Küste liegt. Dadurch geht’s 80 Höhenmeter zum Meer runter.. huii.. und dann wieder 80 Meter hoch.. puh. Im Höhenprofil kann man hier eine hübsche Kerbe bewundern. Das Spielchen wiederholt sich heute noch einige Male. Wir gehen aber erstmal im Supermarkt einkaufen. Es gibt Donuts, Kuskus und Kakao. Was man eben so isst.
Weitere 60 Kilometer südlich, in Haderslev, machen wir eine richtige Mittagspause mit Pasta vom Italiener. Anschließend pedalieren wir über schmale Straßen und durch Alleen. Sehr hübsch ist’s hier in Süddänemark. Und dann das: „Die haben vergessen da Asphalt auf den Weg zu legen!“ Meine Begeisterung über die (zugegebener Maßen sehr gute) Schotterpiste hält sich in Grenzen. Hier gibt es also doch noch ein Track-Detail das umgeplant werden muss. Durch eine Baustelle in einem Wohngebiet schlängeln wir uns wenig später runter nach Aabenraa und zeichnen so eine letzte Kerbe ins Höhenprofil.
Bis zur Grenze sind es von Aabenraa weniger als 20 Kilometer. Immer geradeaus den Sønderborgvej entlang. Recht zügig sind wir nun nochmal unterwegs und stampfen über die langgezogenen Wellen. Mit einem Schnitt von 35,8 km/h lande ich auf dem entsprechenden Strava-Segment immerhin auf Platz 6. Für den KOM sind wir eine Minute und 38 Sekunden zu langsam – genau die Zeit die uns fehlt um in Flensburg den gewünschten Zug zu erreichen. Er fährt uns direkt vor der Nase davon – d.h. erstmal eine Stunde warten. Life is not a Pony Farm.